Wednesday 6 February 2013

Es reicht.

Stopp. Schluss. Aus. Es ist genug.

In weniger als 8 Monaten ist es soweit. Die Piraten werden die Chance bekommen, in das höchste deutsche Parlament einzuziehen. Es ist wichtig, für mich, für die Partei, für dieses Land, dass sie ihre Chance nutzt.

Es ist wichtig für mich, weil ich in dieser Partei zum Ersten mal in meinem Leben eine politische Heimat gefunden habe. Als ich, kurz vor meinem Eintritt in die Partei im Jahr 2011, kurz nach der wegweisenden Wahl in Berlin, das erste Mal das Grundsatzprogramm der Piratenpartei gelesen habe, war ich tief bewegt. Hier haben Menschen ein Manifest für das 21. Jahrhundert geschaffen. Sie haben formuliert, was seit Hunderten von Jahren nicht formuliert wurde. Sie haben Revolutionäres zu Papier gebracht – oder sollte man besser sagen, in die Welt gesetzt?

Die Piratenpartei ist für mich mehr als eine Partei. Sie ist die politische Speerspitze einer Bewegung. Sie hat sich auf dem Glauben gegründet, das dieses System updatefähig ist. Die Grünen haben es bewiesen. Sie haben gezeigt, das eine Bürgerbewegung, entstanden aus einem neuen Bewusstsein in der Bevölkerung, sich den Weg zur politischen Macht in diesem Land erarbeiten kann. Dies Land ist bewiesenermaßen demokratiefähig. Und die Piratenpartei hat sich zum Ziel gesetzt, das Bewusstsein des 21. Jahrhunderts, das Bewusstsein der sich entwickelnden Informations- und Wissensgesellschaft, auf friedlichem, politischen Wege dorthin zu führen, wo die Geister vergangener Zeiten schon lange Platz genommen haben: An den Tisch der Macht.

Im Mittelalter teilten sich Kirche und Könige den Kuchen, der dort serviert wurde, später forderten Bürger ihren Anteil, und verdrängten über die Jahrhunderte Kirche und Könige von der Macht. Und als der Kampf um die Macht gegen die Herrscher vergangener Zeiten gewonnen war, begannen Sie, untereinander um Macht zu ringen. Heute stehen tausende von Institutionen, Millionen von Individuum im Wettkampf um die Ausübung einer Macht, die noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar war: Jeder von uns könnte die Welt in weniger als 24 Stunden umrunden. Jeder von uns könnte jederzeit mit jedem anderem Reden. Jeder von uns könnte fast alles über jeden anderen wissen. Jeder von uns könnte heute mächtiger sein, als es Kirchen und Könige jemals waren. Und es liegt an uns zu entscheiden, wer diese Macht ausübt.

Wir stehen vor dem Problem, dass zwar jeder von uns alles wissen könnte, aber nur die größten – und die geheimsten – Institutionen wirklich in der Lage sind, alles über jeden in Erfahrung zu bringen. Wir stehen vor dem Problem, dass jeder von uns zwar jederzeit zu jedem Ort auf der Welt aufbrechen könnte, es aber vor allem Soldaten und Tötungsmaschinen sind, die wir dorthin schicken. Wir stehen für dem Problem, das jeder Einzelne heute mächtiger sein könnte als all seine Vorfahren, aber nur wenige diese Macht wirklich ausüben. Die Mehrheit der Menschen steht der Macht heute ohnmächtiger gegenüber als jemals zuvor.

Der Tisch der Macht, an dem noch vor wenigen Jahrzehnten vor allem Menschen einer Nation saßen, in Konkurrenz zu den Menschen an den Tischen anderer Nationen, ist heute ein weltweiter Tisch, besetzt von Vertretern globaler Institutionen, entsandt von internationalen Konzernen und Geldhäusern, von weltweit agierenden Netzwerken, zusammengehalten durch gemeinsame Interessen, seien sie finanzieller, materieller, ideologischer oder militärischer Natur. Die Griechen haben zu spüren bekommen, was es heisst, größeren Mächten ausgeliefert zu sein. Sie zahlen schon heute den Preis, der bald auch von uns gefordert werden könnte.

Vielleicht sollte man betonen, dass es dieselben Banken waren, die die Griechen in den Euro gemogelt haben, Ihnen zu viel Geld geliehen haben, ihren Kunden ohne schlechtes Gewissen, trotz besseren Wissens Schrott als Gold verkauft haben, die sich vom Steuerzahler haben retten lassen, und die heute allen Ländern diktieren, wie sie zu wirtschaften haben. Vielleicht sollte man Wert darauf legen, dass jeder versteht, was in den vergangenen fünf Jahren passiert ist. Vielleicht reicht es aber auch zu sagen, dass es heute am Tisch der Mächtigen kaum gewählte, und noch weniger glaubwürdige Volkvertreter gibt. Wo noch vor wenigen Jahrzehnten die Politik gleichberechtigt, teilweise sogar führend mit Militärs und Kapital an einem Tisch saß, wird der Wille des Volkes heute kaum noch artikuliert, und noch weniger wahr-, schon gar nicht ernst genommen. Nachdem unsere Politiker sich entschieden haben, lieber die Stimme der Macht unter den Bürgern zu sein als die Stimme der Bürger unter den Mächtigen, ist es an der Zeit, ein neues Sprachrohr für des Volkes Willen zu finden. Es ist die Piratenpartei, die sich dem Anspruch verschrieben hat, dieses zu sein.

Für mich ist die Piratenpartei weit mehr als eine Partei: Sie steht für ein neues Bewusstsein, eine neue Gesellschaft. Sie hat eine Utopie, eine Vision, die in den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts - oder sollte ich besser sagen, des dritten Jahrtausends? - verwurzelt ist. Sie ist die Keimzelle einer neuen politischen Organisationsform, und Brutstätte des politischen Fortschritts in der aufkommenden Wissengesellschaft. Die Piratenpartei ist der Vorbote einer neuen Zeit, und ihr Erfolg – wie ihr Mißerfolg - entscheidet darüber, ob diese Gesellschaft sich ihrer Utopie – oder ihrer Dystopie – nähert. Bürgerrechte, Überwachung, Privatsphäre, Datenschutz, Informationsfreiheit, Bildung, Nachhaltigkeit, oder einfach gesagt: Freiheit: darum geht es heute. Nicht mehr und nicht weniger. Werden wir frei sein von mächtigen wie gierigen Finanzinteressen, werden wir frei sein von unerbittlichen Marktkräften, in denen ein Mensch nicht mehr wert ist als die Arbeit, die er zu leisten vermag? Werden wir frei sein von Rechtlosigkeit, Zensur und Medienmanipulation? Frei von der Ohnmächtigkeit, mit der wir heute den globalen Entwicklungen gegenüber stehen? Und wie frei werden unsere Kinder sein?

Die Piratenpartei ist wichtig für dieses Land. Sie ist das am weitesten entwickelte Werkzeug in den Händen politisch engagierter Bürger, die aufgehört haben, auf andere zu hoffen, und die die Wende zum Besseren in diesem Land selbst in die Wege leiten wollen, ohne sich auf eine gescheiterte Politiker-Kaste zu verlassen. Die Piratenpartei bildet tausende, zehntausende Menschen in der Benutzung moderner Kommunikations-, Arbeits-, und Organisationswerkzeuge aus, und diese Menschen helfen sie zu verbessern, oder sie durch Bessere zu ersetzen. Die Piratenpartei ermöglicht hundertausenden, sogar millionen Menschen das Mitmachen - wenn sie bereit dazu sind..

Noch ist die Piratenpartei ein teilweise chaotischer Chor von Stimmen, und jene, zu denen er spricht, verstehen ihn nicht. Noch benötigen wir Übersetzer, Einzelne die hervortreten, um unserem Gegenüber, das nicht im Chor seine Stimme erhebt, die Bedeutung unserer Worte vermitteln. Noch gibt es Disharmonien, die nicht nur Außenstehende verschrecken. Aber wer tiefer in das Stimmenmeer eintaucht, wird feststellen, wie groß die Dynamik im Schwarm ist und wie viel sich unter der Oberfläche organisiert. Während von außen nur der Schaum auf den Wellen gesehen, das Dröhnen der Lautesten gehört wird, schreitet die menschliche Evolution unter der Oberfläche unaufhaltsam voran.

Und ja. Es ist die menschliche Evolution, der wir in der Piratenpartei begegnen. Sie erschafft eine völlig neue Qualität in der politischen Arbeit, in den Möglichkeiten der Beteiligung und in der Verwirklichung von Transparenz. In Zukunft werden wir Politik fast nur noch im Netz machen. Wir werden sie nicht weniger als heute auch außerhalb des Netzes machen. Aber wir werden so viel mehr Politik machen, dass die Offline-Politik nur mehr ein kleiner Teil sein wird. Physische und psychische Barrieren zur politischen Teilhabe werden eingerissen, und aus einem Klub der Alphamännchen (und davon gibt es durchaus auch weibliche), welcher unser Politikbetrieb bis heute ist, wird in Zukunft eine Gemeinschaft der Vielfältigen. Die Piratenpartei, und insbesondere die Piratenpartei Deutschland, sind Pioniere auf diesem Weg einer Reorganisation unserer Gesellschaft und unserer Staatsform, der Demokratie. Und wenn ich schon in der großen Bedeutung schwelge: Der Erfolg der Piratenpartei in diesem Land wird zum Präzedenzfall für die Welt. Der zweitgrößte Parteitag der Welt war der Bundesparteitag 2012.2 der Piraten in Bochum. Nur der Parteitag der kommunistischen Partei in China hat mehr Teilnehmer. Und doch könnten die Unterschiede nicht größer sein.

Die Piratenpartei ist Keimzelle, oder zumindest Katalysator einer globalen politischen Bewegung, die, anders als die Nationen und Staatenbünde von heute, die reelle Chance hat, globale Konzerne und Institutionen in ihre Schranken zu weisen, und dem Menschen, dem Individuum wieder zu Wertschätzung und Würde zu verhelfen. Die Piratenpartei ist ein in der Entstehung begriffenes weltweites politisches Netzwerk, das viel schneller und effektiver grenzübergreifend handeln und Einfluss nehmen kann (oder können wird) als jede heutige Institution. Nicht in den Interessen einiger weniger, sondern mit den Bürgern, durch die Bürger und für die Bürger.

Aber die Zeit rennt uns davon. Die neue Technik ermöglicht nicht nur uns Bürgern, mehr Einfluss zu nehmen. Sie stärkt auch die skrupellosen Organisationen und Regierungen, in denen Profit und Macht mehr als Menschenleben zählen. Überwachung und Kontrolle sind die harmloseren Auswirkungen einer immer tyrannischer werdenden Welt. Kriege werden im heutigen Doppelsprech zu Frieden schaffenden Maßnahmen. Die von den Finanzkonzernen verursachte Krise hat die Verursacher noch stärker, mächtiger als je zuvor gemacht. Staatliche und privatwirtschaftliche Macht verschmelzen auf internationaler Ebene immer stärker zu einer Einheit, in der demokratisch gewählte Volksvertreter, demokratisch getroffene Entscheidungen als lästiges Hindernis betrachtet werden.

Für diese Verschmelzung zwischen staatlicher Autorität und privaten Wirtschaftsinteressen gibt es ein Wort. Es heisst "Faschismus". Auch wenn die Propaganda heute weiter entwickelt, subtiler, schwerer zu durchschauen ist als vor 70 oder 80 Jahren, auch wenn das Volk heute nicht mehr mit Soldatenstiefeln, sondern mit Ablenkung in Schach gehalten wird, der menschenverachtende Kern dieser Ideologie hat sich nicht verändert. Der Westen befindet sich seit Jahrzehnten im dauerhaften Krieg, der Friedensnobelpreisträger B.H.Obama hat tausende unschuldiger Kinder mit seinen Drohnen töten lassen, Folter wurde zur akzeptierten Normalität, und die Bürgerrechte werden zu Gunsten des Überwachungs- und Kontrollwahns mehr und mehr beseitigt. Diese Gesellschaft wird immer roher, immer unsensibler wenn es um das eigene Verhalten geht, eingelullt von der Propaganda staatlicher und privater Medien, die allein durch ihre Wortwahl und Auswahl der Nachrichten das Weltbild in den Köpfen der Menschen prägen. Wir gewöhnen uns an die tägliche Gewalt, wir glauben gar, es geht gar nicht mehr ohne, weil die Welt nun mal gewalttätig sei und wir uns ihr anpassen müssen. Dabei sind wir es, die die meiste Gewalt in die Welt tragen. Wir leiden heute unter der gleichen Selbstverleugnung wie schon unsere Eltern und Großeltern einige Jahrzehnte zuvor. Die Frage ist, wann wir bereit sein werden, dies zu erkennen – oder ob wir offenen Auges, aber ohne klaren Blick, ein weiteres Mal in unser Verderben rennen.

Unsere heutige Zeit unterscheidet sich nicht sehr von 1939. Wieder stehen wir vor einem globalen Krieg, wieder verdrängt die Mehrheit der Menschen die unmenschlichen Tatsachen, verneint die eigene Verantwortung für die Gewalt in der Welt, wieder verschwören sich die Mächtigsten zu verbrecherischem Handeln, um ihre Macht zu festigen, scheinheilig begründet mit der Schaffung von Sicherheit und Freiheit, und wieder ist jeder der dagegen angeht ein Aussätziger, ein einsamer Rufer in der Wüste, bestenfalls verlacht oder ignoriert, schlimmstenfalls auf Jahre ohne Anklage und ordentliches Verfahren ins Loch gesperrt, oder gar mit einer Drohne hingerichtet.

Aber anstatt uns mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu beschäftigen, schmeißen wir eine Dosis Soma ein und träumen uns die Welt schön. Die heutige Realität ist viel schlimmer als die Schöne Neue Welt 1984 je hätte sein können. Die Frage ist nur, wann wir bereit sind, das zu erkennen – oder ob überhaupt.

Unsere beste Chance besteht darin, dass Schmierentheater der Politik so schnell wie möglich zu entlarven, die wahren Verhältnisse zu offenbaren, Tacheles zu reden und uns nicht mehr von den Lügen der Propaganda-Abteilung ablenken zu lassen. Unsere Chance liegt darin, mit Hilfe der modernen Technik neue Lösungswege, neue Lösungen für die alten Probleme zu finden. Unsere beste Chance, dies zu erreichen, ist, dass die Piratenpartei in wenigen Monaten den Bundestag erobert, und von dort dem alltäglichen Wahnsinn Tag für Tag die Stirn bietet.

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